Vom Reitunfall zum ersten FATA-Projekt „Rettungsboot“

 “Wenn du nach links oder rechts willst, ziehst du in die Richtung. Wenn du das Pferd stoppen willst, ziehst du nach hinten. Wenn du schneller reiten willst, klopf mit deinen Beinen auf den Bauch vom Pferd. “

Mein Opa setzte mich schon als kleines Kind aufs Pferd und diese einfache aber sehr praktische Anleitung war schon oft sehr hilfreich.

Wir sind oft stundenlang mit den Pferden im Schritttempo durch den Dschungel des Amazonasgebiets „gewandert“. Manchmal haben meine Cousine und ich die Pferde geschnappt und sind Wettrennen geritten. Die Mahnungen meiner Eltern nicht zu schnell zu reiten, habe ich dabei oft einfach ignoriert. Dieses Gefühl der Freiheit neben dem Amazonas zu reiten ist unbeschreiblich.


In dem Jahr nach meinem Abitur bin ich für ein Jahr nach Leticia zu meiner Familie gereist. Wir waren oft auf der Finca (einer Art Bauernhof) am Amazonas in Kolumbien. Mein Opa musste dort immer die Pferde ausreiten und ich habe mir eine solche Gelegenheit nie entgehen lassen. Ich bin immer ein braunes Pferd mit weisem Streifen auf der Stirn geritten. Mann muss dazu sagen, dass ich weder ein Pferdemädchen, noch ein großer Tiermensch bin. Ich denke Kolumbien hat mich so beeinflusst dass ich Tiere als “Nutztiere” sehe, nicht als Haustiere wie hier in Deutschland. Ich liebe es zu reiten. Allerdings war mir aber immer relativ egal, auf welchem Pferd. Mein Opa hat mich irgendwann gefragt ob ich dem Pferd nicht einen Namen geben möchte. Ich zuckte mit den Schultern und meinte „Mercedes“. Ich habe schon mal gesehen dass ein Pferd Mercedes hieß und fand es cool – als Stuttgarterin ist Mercedes natürlich der Autohersteller meiner Wahl.
In diesem Jahr bin ich oft mit Mercedes ausgeritten, immer mit meinem Opa. Oft bin ich schneller vorgeritten, jedoch immer vorsichtig, da mein Opa ja zugeschaut hat.

2 Wochen vor meiner entgültigen Rückreise nach Deutschland (in 3 Wochen war Semesterstart für mein Studium und eine Woche davon hatte ich für den Umzug nach München eingeplant) sind wir wieder zur Finca gegangen. “Geh schon mal zum Stall! Ich komm‘ gleich” meinte mein Opa. Ein neuer Stallarbeiter hatte die Pferde gesattelt. Ich wollte zu Mercedes , da meinte er dass das Pferd für mein Opa sei. Ich erklärte ihm, dass ich Mercedes immer reite. Das andere Pferd, das er für mich gerichtet hatte, war ein wilderes Pferd. Ich bin es zwar schon einmal geritten bei einem Wettrennen mit meiner Cousine (das ich auch gewonnen habe), aber ich hatte zeitweise etwas Angst beim Reiten, da ich es nicht wirklich unter Kontrolle hatte. Der Stallarbeiter antwortete:“ Ich habe es trainiert, das Pferd ist nun zahmer.” Ich wollte nicht unhöflich sein , also stieg ich aufs Pferd. Nach dem ich 5 Minuten darauf saß und mein Opa immer noch nicht da war, setzte meine deutsche Ungeduld ein. Ich meinte zu dem Arbeiter, dass ich mich einreiten würde, schließlich wollte ich mich noch etwas ans neue Pferd gewöhnen. Ich ritt davon. Ich drehte mich ein paar Mal im Kreis, dann beschloss ich einfach eine kleine Strecke die ich schon oft geritten bin, abzureiten. Ich galoppierte los. Plötzlich merke ich dass mein Fuß nicht mehr fest im Steigbügel war. Ich versuche während dem Galoppieren meinen Fuß wieder reinzukriegen, bin dadurch abgelenkt . Das Pferd nimmt an Tempo an, ich habe die Zügel nicht richtig in der Hand. Ich kriege Panik. Das Pferd ist so schnell , ich sitze nur zur Hälfte richtig im Sattel. Ich versuche zu stoppen, das Pferd reagiert nicht. Ich kenne die Strecke auswendig, gleich kommt eine eklige Stelle. Wie ein matschiges Loch würd ich es beschreiben . Bei dem Part muss man immer langsamer reiten und sich richtig gut festhalten. Das Pferd wird nicht langsamer. Im Gegenteil, das Pferd wird immer schneller. Pferde merken wenn man panisch ist. Ich hatte sehr große Panik. Im Kopf nur die Stimme meiner Mutter “versprich mir dass du nicht reitest. Du reitest immer zu schnell du wirst noch hinfallen!“ Sie erzählt immer vom einer Kollegin die durch einem Reitunfall querschnittsgelähmt ist. Ich weiß, dass ich innerhalb der nächsten 5 Sekunden spätestens mit dem Pferd im Matschloch stürzen werde. Was soll ich tun? Ich muss ruhig bleiben. Gott sei Dank fällt mir ein dass mein Opa immer sagte dass man abspringen muss wenn man die Kontrolle über ein Pferd verliert. In der selben Sekunde sprineg ich. Ich denke beim Sprung nur “bitte lass mich nicht querschnittsgelähmt sein sonst bringt mich meine Mutter um.” Das nächste was ich weiß ist, dass ich auf dem Boden liege .Ich höre wie das Pferd in den Matsch fällt. Ich liege da. Ich höre das Pferd kommt in meine Richtung, entfernt sich jedoch wieder. Es galoppiert davon . Ich liege da und denke an meine Mutter .”bin ich tot?” Sekundenschnell spring ich auf, bewege alle Körperteile. Alles noch dran. Ich renne. Ich renne hoch zum Haus, suche meinen Opa. Niemand da. Ich schreie nach meinem Opa. Keine Antwort. Da setzt der Schmerz ein. Ich Fall aufs Bett und weine.

3h später

Ich liege immer. Ich spüre nicht viel. Mein Opa hat mir 2 Schmerztabletten gegeben die er zum Glück bei sich hatte. Auf meiner Schulter liegt eine kalte Coca Cola, was anderes kühles haben wir nicht gefunden. Außer meiner rechten Schulter geht es meinem Köper gut. Mein Opa kommt ins Zimmer “mein Freund hat gerade angerufen, der Schamane kann nicht kommen, er hat Durchfall.”
Na toll. Da lieg ich im nirgendwo, mit sehr schlechten Handynetz, ohne Medikamente, ohne Arzt, und der einzige Schamane vom indigenen Nachbardorf hat Durchfall…

2h später

Bei jedem Aufprall des Bootes spüre ich einen Schmerz durch meinen ganzen Körper. Ich sitze im “rapido“(auf deutsch schneller). Der rapido ist wie der ICE des Amazonas. Ein Boot fährt im 2-Stunden-Takt den Fluss hoch und runter. Wir brauchen etwas mehr als eine Stunde mit dem Schnellboot nach Leticia, der Stadt in der wir wohnen. Ich sitze eingequetscht da, Personen laufen durch den Gang und streifen meine Schulter, Tränen laufen mir die Wange runter.

2h später

„Du gehst sofort ins Krankenhaus!“ Meine Oma war ganz und gar nicht begeistert von unserer Ankunft. Besorgt warten wir im Wartezimmer, endlich, nach fast einer Stunde Wartezeit, behandelt mich ein Arzt. Ich versuche die ganze Zeit meine Großeltern zu beruhigen und sage ihnen, dass es mit gut geht und ich fast keine Schmerzen habe. Der Arzt ist der Meinung, dass wahrscheinlich nichts gebrochen ist, da meine Schmerzensonst viel schlimmer wären. Trotzdem will er es röntgen . Wir schauen auf den Bildschirm. Dann erscheint das Bild vom Röntgen. Sie schreit auf und ich schau nur verdutzt. Mein Knochen steht im 90 Grad Winkel raus. Es muss dringend operiert werden. komplizierter hätte ich mir die Schulter kaum brechen können. Ich fang an zu weinen. Operation heißt, dass ich es meinen Eltern beichten muss.

Am nächsten Tag

Die Teile von der Operation müssen eingeflogen werden. Einen Termin würde ich schon in 2 Tagen bekommen, der Arzt ist ein Freund von meinem Opa. “Du fliegst sofort nach Deutschland!” – meine Eltern wollen nicht, dass ich mitten im Dschungel operiert werde. Am nächsten Tag fliege ich vollgepumpt mit Schmerzmitteln los. 20 Stunden später komme ich in Frankfurt an. Meine Eltern holen mich ab. Wir fahren direkt ins Krankenhaus, ich werde aufgenommen und werde schon am nächsten Morgen operiert. Ich war so erschöpft, dass ich alles durchgeschlafen habe , nach der OP wache ich auf. Alles ist gut verlaufen. Bs heute habe ich 16 Schrauben in meiner Schulter und zwei Narben.

Ich liebe den Amazonas. Aber die medizinische Versorgung ist einfach schlecht oder besser gesagt nicht vorhanden. Selbst in der Stadt Leticia ist sie nicht gut, aber wenigstens vorhanden. Auch als privilegierte Deutsche mit Geld und Verbindungen zu Ärzten, kam ich erst ca. acht Stunden nach dem Unfall am Krankenhaus an. Ich hatte nur eine gebrochene Schulter. Über 13.000 Indigene leben am Amazonas. Das nächste und einzige Krankenhaus in der Nähe ist in Leticia. Indigene nehmen normalerweise keine “Rapidos”. Nur Touristen oder Leute aus Leticia nutzen den Rapide, da er teuer ist. Der Großteil der indigenen Bevölkerung hat Kanus, einige haben gar nichts.

Unser erste Projekt “Ambulance Boat” liegt mir nicht nur deshalb persönlich sehr am Herzen. Ich selber kam in eine Situation in der ich den schnellen ambulanten Transport zum Krankenhaus gebraucht habe. Ich kam mir einfach nur hilflos vor. Ich kann mir nicht vorstellen, wie hilflos sich zum Beispiel Eltern fühlen müssen, wenn sie im Regen mit dem Kanu durch den Amazonas fahren um ihr krankes Kind zum Krankenhaus in Leticia zu bringen. Denn auch das ist keine Seltenheit.

Das Bild was ich meinen Eltern geschickt habe während meinem Flugmarathon mit meiner provisorischen Armschlinge
(sie waren sauer)

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